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Leinen los!

Menschen mit und ohne Behinderung segelten auf dem Ijsselmeer

Bei der fünften inklusiven Segelfreizeit der Aktion Menschenstadt lernten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wieder viel über ihre eigenen Stärken und was es heißt, sich in einer Gemeinschaft auf den anderen verlassen zu können.

Aber von Anfang an: Nachdem der ganze Sommer bisher so heiß war, regnet und stürmt es genau an dem Freitagabend im August, an dem 13 Jugendliche mit und ohne Behinderung zwei Yachten in Warns, Niederlande, beladen. Außer den Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zwischen 12 und 18 Jahre alt sind, gehen vier Mitarbeitende und natürlich die beiden Skipper mit an Bord.

Natürlich lassen sich echte Segler die Laune nicht vom schlechten Wetter verderben, und so ist es auch hier: Die Jugendlichen packen mit an, bilden eine Kette und schnell sind eine Unmenge an Lebensmitteln und Getränken, Taschen und Schlafsäcken an Bord. Kabinen werden aufgeteilt, und dabei sieht man bei ein oder anderen, der zum ersten Mal mit ist, das Fragezeichen in den Augen, wie das denn alles gehen und passen soll... Aber es passt, die Erfahrenen geben Tipps und abends sitzen alle gemütlich bei Nudeln mit roter Soße im trockenen Salon.

Am nächsten Morgen gibt es zuerst noch eine Sicherheitseinweisung von den Skippern, und dann heißt es wirklich Leinen los! Jede und jeder hat seinen Platz an Bord und beim Ablegen eine feste Aufgabe. Das funktioniert sehr gut, die Skipper können sich auf ihre junge Crew verlassen. Bei viel Wind und Wellen geht es am ersten Tag einmal quer über das Ijsselmeer, Kurs Enkhuizen.

Jonas und Daniel sind von Anfang, jetzt also schon zum fünften Mal dabei. Jonas macht im nächsten Jahr sein Abitur, Daniel hat Trisomie 21. An Bord und im Hafenleben fallen diese Unterschiede kaum auf. Das gemeinsame Interesse des Segelns führt sie alle in jedem Sommer zusammen. Manchmal sind es auch die Jugendlichen ohne Behinderung oder gar die Mitarbeitenden, die sich an Bord erstmal schwerer tun. Die eigenen Stärken zu entdecken und zu lernen, wie man sie am besten einsetzen kann, ist auch ein Ziel des Kurses. Das gelingt den Jugendlichen auf beachtenswerte Art und Weise. Mancher steuert die 14-Meter-Yacht mal eben bei Windstärke 5 eine Stunde über das Ijsselmeer. Und wenn einer drauf und dran ist, mal den Kurs zu verlieren, fragt vor dem Skipper meist schon ein anderer: Guckst du nach dem Kurs?

Einige der Jugendlichen werden nie einen Autoführerschein machen können. Was für ein imposantes Erlebnis also, das Steuer eines so großen Segelbootes festzuhalten und einmal „Käpt´n“ zu sein. Manchmal macht die Seefahrt die Segler aber auch „sooo müde“, sie schlafen lieber unterwegs, denn abends, zum Kartenspielen, müssen sie ja wieder fit sein. Die Woche auf dem Ijsselmeer geht schnell vorbei! Nächstes Jahr wollen sie die beiden Boote am liebsten länger chartern, lautet das einhellige Fazit.

Die zweite Woche verbringt die Gruppe in Dangast in einem Haus direkt am Strand; manche nennen es schon „ihr Zuhause“. Tagsüber gehen sie dann bei einem der Skipper in Wilhelmshaven in die Segelschule, segeln Jolle und Opti oder fahren Motorboot. Hier können sie ihre Fähigkeiten noch unmittelbarer, auf viel kleineren Booten, ausprobieren und als Zweier-Crew zusammen wachsen. Am Endes des Kurses machen zwei von ihnen wieder eine Prüfung und bekommen „einen richtigen Schein“, den Sportbootführerschein Binnen. Alle stehen am Steg und freuen sich mit. Und was dann natürlich nicht fehlen darf ist der Sprung ins Wasser – wenn man bisher doch so lange darauf war. Da ist Daniel dann wieder ganz weit vorne!

Eine Idee entsteht und wird Wirklichkeit

Die Idee für eine inklusive Segelfreizeit entstand bei der Suche nach einem Angebot, das für Jugendliche mit und ohne Behinderung so interessant ist, dass sie gern zusammen verreisen und Zeit miteinander verbringen. Das gemeinsame Interesse des Segelns sollte sie zusammen führen – und der Plan ging auf. Dabei hat sich das Programm Schritt für Schritt weiterentwickelt: Im ersten Jahr bestand die Freizeit nur aus einem einwöchigen Kurs mit Unterkunft in Wilhelmshaven. Schnell wurde klar, dass das zu kurz ist. Im zweiten Jahr dauerte die Freizeit bereits zwei Wochen – die erste wurde im Ferienhaus in Dangast verbracht, die zweite mit einem Segelkurs in Wilhelmshaven. Die Teilnehmenden unternahmen auf der Jade verschiedene Törns mit der Yacht der Segelschule, segelten nach Hooksiel oder Dangast und nahmen an der Regatta des örtlichen Segelvereins teil. Daraus erwuchs der Plan, im dritten Jahr selbst zwei Yachten zu chartern und auf der Ostsee zu segeln. Die Gruppe startete in Heiligenhafen und besegelte eine Woche lang die Ostsee; dieses Mal verbrachte sie die zweite Woche in Dangast. Dieses Modell fand so großen Anklang, dass es ab jetzt beibehalten wurde. Im vierten und fünften Jahr wurden die Boote in Holland gechartert.

Und so soll es in den kommenden Jahren weitergehen. Natürlich gibt es Veränderungen: Einige der Älteren wachsen zunehmend aus dem Angebot heraus, jüngere Teilnehmer stoßen neu dazu. Jedes Jahr mischt es sich ein bisschen anders. Was bleibt, ist die Atmosphäre in der Gruppe – sie wird beibehalten und weiter gegeben. Alle helfen sich gegenseitig und nehmen aufeinander Rücksicht. Die Teilnehmenden mit Beeinträchtigung werden in den Häfen ganz selbstverständlich mit zu den sanitäreren Einrichtungen genommen. In Dangast lieben alle den Gang zum örtlichen Supermarkt in Kleingruppen oder die fast schon traditionelle Schlick-Schlacht am Strand. Wenn sie bis obenhin voll mit Matsch und Schlick und so richtig schwarz zurückkommen, sehen alle gleich aus und müssen erstmal duschen...

Der Spaß überwiegt. Die Mitarbeitenden sind bei Problemen gefragt, organisieren im Hintergrund, kochen, kaufen ein, sind Autofahrer, Tröster, achten auf die positive Stimmung in der Gruppe und leben sie vor. Aber vieles organisieren die Jugendlichen selbst und übernehmen Verantwortung für sich und andere. Sie sind eine tolle Crew, Skipper und Mitarbeitende sind stolz auf sie.

Damit die inklusive Segelfreizeit auch in den kommenden Jahren durchgeführt werden kann und vor allem auch für die Jugendlichen ohne Behinderung bezahlbar bleibt, sind Spenden nötig. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es in den letzten Jahren immer schwieriger geworden ist, entsprechende Zuschüsse zu sammeln. Wer sich vorstellen kann, das Projekt zu unterstützen oder eine andere Idee für eine Förderung hat, wendet sich an Projektleiterin Lisa Lichtenstein von der Aktion Menschenstadt, Telefon 0201 2205-121, Mail lisa.lichtenstein@evkirche-essen.de.

Herzlichen Dank an Eva Meißner für diesen eindrucksvollen Erfahrungsbericht (Teil 1) und Lisa Lichtenstein für die Ergänzungen (in Teil 2 - ab "Eine Idee entsteht... und wird Wirklichkeit").

 

 

 

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