Logo Evangelische Kirche in Essen


Nachrichten

Warum gutes Zuhören heute so wichtig ist

Eine Mitarbeiterin der Evangelischen Telefonseelsorge Essen berichtet über ihr Engagement

Im Jahr 2017 erhielt die Essener Telefonseelsorge 17.223 Anrufe; die durchschnittliche Gesprächsdauer betrug 18:48 Minuten. Nach wie vor sind akute Sinn- und Lebenskrisen, Krankheit und Behinderung, Vereinsamung und Beziehungsprobleme, die Erfahrung von Mobbing oder auch eine plötzliche Arbeitslosigkeit die häufigsten Themen. Wir sprachen mit einer Mitarbeiterin der Evangelischen Telefonseelsorge Essen über die Gründe für ihr Engagement, die Ausbildung und das, was für diesen Dienst am wichtigsten ist: gutes Zuhören.

Warum ist es heute besonders wichtig, gut zuhören zu können – und was hat das mit Ihrem Dienst bei der Telefonseelsorge zu tun?

„Aus meiner Sicht stellt das Zuhören einen hohen Wert dar, der besonders in unserer lauten und schnellen Zeit gar nicht genügend wertgeschätzt werden kann. Ich selbst war schon als kleines Kind sehr interessiert an Gesprächen und fühlte mich immer ausgeschlossen, wenn sich die Erwachsenen in Ruhe unterhalten wollten. Auch als Förderschullehrerin vermisste ich häufig das, was mir wichtig ist: Interesse an mir persönlich und an meiner Arbeit mit all ihren Höhen und Tiefen. An meinen Erlebnissen mit Schülern, die viele Einschränkungen haben, und mit ihren Familien. Und an den Begegnungen mit Krankheit, Sterben, Tod... Viele hatten ‚kein Ohr für mich frei‘, hatten selbst viel zu tun oder andere Interessen. Als ich überlegte, was mir in dieser Situation selbst weiterhelfen könnte, entdeckte ich in der Tageszeitung einen Hinweis auf die Telefonseelsorge und bewarb mich dort als ehrenamtliche Mitarbeiterin.“

Wie haben Sie die Ausbildung erlebt?

„Die Zeit der Ausbildung war ziemlich anstrengend für mich, mit kleinen Kindern und einem herausfordernden Beruf. Besonders die Aufgaben zur Selbsterfahrung und auch Rollenspiele sind mir in Erinnerung geblieben. Sie gingen bei einigen von uns bis an die persönlichen Grenzen, weil wir auch viel von uns selbst preisgeben mussten. Andererseits bin ich sehr dankbar für die gründliche Vorbereitung und habe in mehrfacher Hinsicht davon profitiert – auch beruflich. Bis heute bietet mir die begleitende Supervision eine Austauschmöglichkeit mit interessanten Menschen – über ihre teilweise sehr unterschiedliche Wahrnehmung von Problemen, aber auch über erfolgreich verlaufene Gespräche. Darüber hinaus gibt es Fortbildungsangebote über Formen von psychischen Erkrankungen und zu gesellschaftlichen und religiösen Fragen usw.

Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie bei den Telefongesprächen gesammelt? Wie gehen Sie mit Gesprächen um, die nicht so gut verlaufen?

Persönlich empfinde ich es als ein Geschenk, wenn Gespräche gelingen und am Ende vielleicht sogar ein Lachen möglich ist. Oft danken uns die Anrufenden dafür, dass wir ihnen zuhören, weil sie sonst niemanden haben, dem sie von ihren Nöten oder auch von guten Erlebnissen erzählen können. Natürlich gibt es Gespräche, die nicht so positiv verlaufen, obwohl ich mich um ein gutes Zuhören bemüht habe. Aber auch durch diese Gespräche können wir etwas lernen. Manchmal wird mir bewusst, dass gerade in mir selbst etwas ‚arbeitet‘, weil mich der Inhalt des Gesprächs besonders berührt. Darüber kann ich dann bei der Supervision noch einmal sprechen, wenn ich das für sinnvoll halte. Auf Kongressen und bei anderen öffentlichen Veranstaltungen danken uns – zum Teil sehr prominente – Persönlichkeiten immer wieder für unsere wertvolle Arbeit und ermutigen uns, diesen wichtigen Dienst fortzusetzen. Am Anfang der Ausbildung hörte ich einmal, dass uns diese Arbeit verändern wird. Das haben tatsächlich viele von uns erlebt.“
______________

Daten und Fakten zu Ausbildung und Mitarbeit

Die Mitarbeitenden der Telefonseelsorge bleiben zu ihrem eigenen Schutz anonym – der Name der Interviewpartnerin ist uns deshalb zwar bekannt, kann aber öffentlich nicht mitgeteilt werden. Ehrenamtliche Telefonseelsorgerinnen und Telefonseelsorger absolvieren einen mehrmonatigen kostenlosen Ausbildungskurs. Zu den Inhalten zählen insbesondere Techniken der Gesprächsführung und Kenntnisse über Themen, die in Anrufen bei der Telefonseelsorge häufig angesprochen werden. Nach der Ausbildung werden die Mitarbeitenden durch regelmäßige Supervision und Fortbildungen weiter begleitet. Die Evangelische Telefonseelsorge in Essen verfügt derzeit über 71 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; zehn weitere befinden sich in der Ausbildung. In Essen sind die Evangelische und die Katholische Telefonseelsorge organisatorisch getrennt; beide Stellen arbeiten aber am selben Ort.

Informationsabend im Haus der Evangelischen Kirche

Wer für sich selbst möglicherweise einen Sinn darin sieht, anderen Menschen in einer persönlich schwierigen Situation als Gesprächspartnerin oder Gesprächspartner zur Seite zu stehen: Der nächste Ausbildungskurs beginnt nach den Sommerferien. Besondere fachliche Vorkenntnisse werden nicht erwartet – erforderlich sind jedoch die Fähigkeit, sich auf andere Menschen und ihre Sorgen einlassen zu können, sowie die Achtung der seelsorgerlichen Verschwiegenheit. Interessierten können sich unter Telefon 0201 / 74 74 80 an den Leiter der Evangelischen Telefonseelsorge in Essen, Pfarrer Werner Korsten, wenden und ein unverbindliches Gespräch vereinbaren. Mehr Informationen zur Organisation, zur Ausbildung und zur Mitarbeiter stehen im Internet auf der Seite www.telefonseelsorge-essen.de.

Die Notrufnummern der Telefonseelsorge

Wer in einer persönlichen Krisensituation das Bedürfnis nach anonymer seelsorgerlicher Beratung hat, erreicht die Telefonseelsorge telefonisch unter den Rufnummern 0800 1110111 (evangelisch) und 0800 1110222 (katholisch) – an jedem Tag und zu jeder Uhrzeit. Informationen zur Mail- und zur Chatberatung stehen im Internet auf der Seite www.telefonseelsorge.de.

 

 

 

nach oben ▲