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Bei mir fängt es an!

Gottesdienst erinnerte an die Opfer der Reichspogromnacht 1938

"Ich hatte doch keine Wahl!" - "Ich hatte Angst, so richtig große Angst." - "Was soll meine Stimme schon für einen Unterschied machen?" Laute Sätze fallen in den Kirchraum, gesprochen von jungen Menschen; sie nehmen Stimmungen und Reaktionen auf die Ausschreitungen des 9. Novembers 1938 auf. Dazu erklingt ein Song der Band Die Ärzte: "Mein Schweigen ändert nichts, nein, mein Schweigen ändert nichts..." Eindrucksvoll gestaltete sich der Prolog zu einem Gottesdienst, der neben dem Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht auch die Verantwortung der heutigen Generation in den Mittelpunkt rückte - die Verantwortung, die eigene Stimme gegen Rassismus und Unterdrückung zu erheben.

„Bei mir fängt es an“ lautete deshalb die Überschrift dieser Gedenkfeier, mit der die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Essen (ACK Essen) in der Domkirche an ermordete und verschleppte jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, brennende Synagogen, geplünderte Geschäfte und weitere Gräueltaten der Nationalsozialisten erinnerte. Die liturgische Leitung hatte der Diözesankurat der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG), Maximilian Strozyk, zusammen mit Pfadfinderinnen und Pfadfindern der AG Spiritualität und Mitgliedern der ACK Essen. Für die Musik sorgte der Schulseelsorger und Gitarrist Stefan Nieber.

"Es reicht nicht zu sagen, dass unsere Großeltern damals etwas falsch gemacht haben", führte Maximilian Strozyk in seiner Katechese aus. "Als Christinnen und Christen haben wir eine Verantwortung vor Gott, vor der Welt und vor uns selbst. Gott ist in Menschen lebendig, die ihre Stimme gegen Antisemitismus und Ungerechtigkeit erheben. Auch heute sind viele Menschen darauf angewiesen, dass wir uns für sie einsetzen. Und damit wir uns selbst in den Spiegel schauen können, sollten wir uns immer dort, wo jemand herabgewürdigt wird, fragen: Was ich selbst tun? Nur auf diese Weise können wir dazu beitragen, diese Welt ein bisschen besser zu machen." Am Ende gab es Fürbitten zur Stärkung: Was brauchen wir, damit wir uns trauen, unsere Stimmen zu erheben? "Liebe", "Freiheit", "Vielfalt", "Mut"... lauteten die Wünsche. Als Symbol dafür, dass dies alles wächsen möge, nahmen die Besucherinnen und Besucher ein Samenpapier mit nach Hause.

"Die damaligen schrecklichen Ereignisse sind schon lange her und doch hoch aktuell", erklärte die ACK Essen anlässlich des Gedenktages. "Denn auch heute braucht es Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen, sondern aufstehen und mutig Zeichen der Liebe setzen." Der Gedanke „Bei mir fängt es an“ solle dabei nicht nur nach unserer Verantwortung fragen, sondern auch Mut machen: „Auch auf mich kommt es an. Ich mache einen Unterschied und ich kann etwas bewegen.“

GEDENKVERANSTALTUNG IN KRAY

Auch in Kray fand am 9. November eine Gedenkveranstaltung für die Opfer der Reichspogromnacht statt; dazu eingeladen hatte der Runde Tisch „Kray ist bunt“ – ein Zusammenschluss von Kirchengemeinden, Krayer und Leither Bürgerinnen und Bürgern, Parteien und Vereinen, sozialen und kulturellen Einrichtungen im Stadtteil. Treffpunkt war wie immer der „Engel der Kulturen“ auf dem Krayer Markt. An der rund halbstündigen Veranstaltung wirkten Mitglieder von „Kray ist bunt“, das evangelische Jugendhaus „Gecko“ und die Studiobühne Essen mit; die Moderation übernahm Pfarrerin Monika Elsner. "Wir wollen den Menschen Zeit und Raum bieten, um sich an die Schrecken der Reichspogromnacht im nationalsozialistischen Deutschland zu erinnern, der Opfer zu gedenken und das gemeinsame Ziel eines friedlichen und toleranten Zusammenlebens im Stadtteil und darüber hinaus zu bekräftigen", hieß es in der Einladung.

DIE REICHSPOGROMNACHT 1938

In der sogenannten Reichspogromnacht kam ein beispielloser, vom nationalsozialistischen Staat getragener Antisemitismus zum Ausdruck, dem bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Millionen europäischer Juden zum Opfer fallen sollten. Am Abend des 9. November 1938 und auch am Folgetag steckten SA- und SS-Trupps in Deutschland 1.200 Synagogen an; in Essen wurden die heutige Alte Synagoge sowie die Synagogen und Gebetssäle in Steele, Werden und Kettwig und das jüdische Jugendheim verwüstet.

Überall wurden jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger geschlagen, verhaftet, in Konzentrationslager verschleppt und ermordet, ihre Geschäfte geplündert, Wohnungen zerstört und Friedhöfe geschändet. Eine aufgebrachte Menschenmenge stimmte den Gräueltaten der NS-Schergen in dieser Nacht jubelnd und johlend zu. Andere wieder nahmen schweigend, gleichgültig oder hilflos hin, was sich vor ihren Augen an Menschenverachtung abspielte.

ARBEITSGEMEINSCHAFT CHRISTLICHRE KIRCHEN IN ESSEN

Veranstalter des Ökumenischen Gedenkgottesdienstes ist die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Essen (ACK Essen), die 1994 aus einem informellen Arbeitskreis heraus entstand. Regelmäßige Treffen dienen dem Austausch und der gegenseitigen Information. Zu den gemeinsamen ökumenischen Projekten und Aktionen zählen die monatlichen Gedenkgottesdienste für die „Unbedachten“ dieser Stadt, der jährliche stadtweite Gottesdienst zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht und die „Ermutigungstage“.

Mitglieder in Essen sind derzeit: Römisch-Katholische Kirche, Alt-Katholische Kirche, Evangelische Kirche, Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche, Evangelisch-Methodistische Kirche, Heilsarmee, Russisch-Orthodoxe Kirche, Serbisch-Orthodoxe Kirche, Rumänisch-Orthodoxe Kirche, Koptisch-Orthodoxes Patriarchat in NRW, Evangelisch-Freikirchliche Gemeinden und Freie evangelische Gemeinden. Die Evangelische Allianz, der Essener Bezirk der Neuapostolischen Kirche und die International Christian Fellowship (ICF Essen) haben einen Gaststatus inne.

Titelbild: Kirchenkreis Essen/Achim Pohl

 

 

 

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