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Eine Rauminstallation verwandelt die Kettwiger Kirche

„aufbrechen“ lautet der Titel einer Rauminstallation, die die Kirche am Markt der Evangelischen Kirchengemeinde Kettwig, Hauptstraße 83, vom 5. September bis 7. November tiefgreifend verändert: Mit ihrer Kunstaktion will die Bochumer Künstlerin Dorothee Bielfeld die Kirchenbesucher dazu motivieren, in Kirche und Gesellschaft herrschende Strukturen und Traditionen zu hinterfragen und über nötige Veränderungen nachzudenken. Nach der Vernissage am Sonntag, 5. September, um 19 Uhr begleiten eine Predigtreihe, ein Kulturprogramm und erweiterte Öffnungszeiten das Projekt.

Dass jeder Aufbruch mit dem Abschied von Vertrautem, von geliebten Orten, eingeübten Verhaltensweisen und feststehenden Gewissheiten einhergeht, liegt zwar in der Natur der Sache, ist wahrscheinlich aber zugleich eines der größten Hemmnisse für Veränderungen – was die Rauminstallation auf verstörende Weise sichtbar macht: 300 Jahre, eine gefühlte Ewigkeit lang, standen die Kirchenbänke in der Kirche am Markt, scheinbar unverrückbar und felsenfest. „1609 trat die Kirchengemeinde Kettwig zum evangelischen Glauben über“, erinnert Pfarrerin Silke Althaus in der Broschüre zur Ausstellung. „Der Kirchraum wurde – und ist bis heute – nach reformierter Tradition schlicht gestaltet. Die Bänke dicht an dicht, nach vorne ausgerichtet. Im Zentrum der Kanzelkorb – Ort der Predigt. Der Kirchraum war also vor allem als ‚Hörsaal‘ gedacht – nichts sollte ablenken vom Hören auf das Wort Gottes, auch nicht der Blick in das Gesicht der anderen. Vorne stand der Pfarrer – heute auch die Pfarrerin.“ Ein gewohnter, vertrauter Anblick im Gottesdienst an jedem Sonntag, bei Taufen, Konfirmationen und Trauungen. Dem setzt Dorothee Bielfeld nun ein jähes Ende: Ihre Kirchenbänke geraten in Bewegung und die statischen Reihen in Unordnung, Lücken tun sich auf, neue Formen entstehen.

„Ich arbeite mit den vorhandenen Elementen und bringe sie in eine neue Ordnung – oder, je nach Sichtweise, in Unordnung“, erklärt Dorothee Bielfeld ihr Konzept. „Durch das Verschieben und Verschränken der Kirchenbänke entsteht ein sehr dynamisches Gebilde, sinnbildlich für das Gemeindeleben und den Aufbruch zu etwas Neuem.“ Vier Bänke sind am Boden verankert, drei Bänke sind an einer Seite im Boden verankert und liegen an einem Punkt auf einer der anderen Bänke auf, so dass die andere Seite in der Luft schwebt. Zwei Bänke schieben sich jeweils in die seitlichen Eingangsbereiche und führen den Betrachter in den Raum; dabei stehen die Bänke so im Winkel zueinander, dass ein neues Zentrum geschaffen wird.

„Ungewohnte neue Erfahrungen, wie das Zusammenrutschen auf der schrägen Sitzfläche, das Bücken zum Erreichen des gewünschten Platzes, Umwege, neue Wege, das Sehen und Gesehen-Werden während des Gottesdienstes gehören zu diesem Raumexperiment.“ Es gibt keine klassischen Ansichten oder Rückseiten, vielmehr wird der Besucher eingeladen, die Arbeit zu durchschreiten, zu benutzen und zu begreifen. Dorothee Bielfeld: „In der individuellen Perspektive des Betrachters entsteht die Arbeit immer wieder neu. Trotzdem wirken die Bänke nicht wie Fremdkörper, sie bleiben ein selbstverständlicher Bestandteil des Kirchenraums. Fast wirkt es, als ob alle Bänke zur Installation gehören. Einige stehen noch an ihrem festen Platz, andere sind schon ordentlich in Bewegung – ganz ähnlich wie auch die Mitglieder einer Gemeinde.“

Dorothee Bielfeld und Silke Althaus sind gespannt auf die Reaktionen. Mitglieder des Presbyteriums, Haupt- und Ehrenamtliche, Mitglieder von Gemeindegruppen, Gottesdienstbesucher und Touristen – sie alle sind eingeladen, ihre Eindrücke in einem Buch zu hinterlassen. Was werden sie hier sehen? Unordnung, Chaos, den totalen Verlust des Vertrauten? Oder die Bildung neuer Strukturen, die Entstehung neuer Heimat inmitten von Bewegung und Veränderung? Vielleicht beides? „Wie wir Gottesdienst feiern und Gemeinde sein wollen – das zeigt sich nicht zuletzt auch darin, wie wir Bänke und Stühle in unserer Kirche stellen“, sagt Silke Althaus. „Wohin werden wir in den nächsten Jahren, Jahrzehnten aufbrechen? Die Rauminstallation soll ein Angebot sein, miteinander über diese Fragen nachzudenken. Das wird uns sicherlich herausfordern – aber wir leben auch in herausfordernden Zeiten. Nutzen wir die Zeit bis zum 7. November zum gemeinsamen Nachdenken und Austauschen. Ich wünsche uns viele gute Gedanken und Begegnungen!“

ÖFFNUNGSZEITEN

Die Rauminstallation „aufbrechen“ kann dienstags, freitags und samstags von 10 bis 18 Uhr sowie sonntags von 12.30 bis 18 Uhr besichtigt werden. Das Presbyterium der Gemeinde dankt dem Team „Offene Kirche“, das die erweiterten Öffnungszeiten durch viele Sonderschichten ermöglicht.

RAHMENPROGRAMM

Die Gottesdienste am 12., 19. und 26. September, 10. 17. und 24. Oktober und 7. November beschäftigen sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit dem Thema der Rauminstallation; die Predigten halten Pfarrerin Silke Althaus, Pfarrerin Friederike Wilberg, Pfarrer David Gabra, Pfarrer i.R. Hans H. Blettgen und Pfarrerin Christiane Wittenschläger. Außerdem plant die Gemeinde mehrere Konzerte (Liederabend „In Memoriam“ am 10. September um 19 Uhr, Gitarrenduo GolzDanilov am 3. Oktober um 18 Uhr, „Nebulosa“ – Musik für Oboe und Orgel am 10. Oktober um 18 Uhr, „TOCstory“ mit dem Thea Orpheus Consort am 31. Oktober um 18 Uhr), einen Filmabend für Jugendliche (17. September um 16 Uhr und 19 Uhr), eine Pilgertour von Kettwig nach Ratingen (25. September), einen Kantatengottesdienst (26. September, 10.30 Uhr), einen Gesprächsabend über die Spiritualität im Märchen „Dornröschen“ (14. Oktober um 19.30 Uhr), eine Poetry-Slam-Show (17. Oktober, 18 Uhr), einen Abend mit Performances (24. Oktober, 18 Uhr) und einen Gesprächsabend zum Thema Rassismus und Kirche (4. November, 18.30 Uhr). Beendet wird die Rauminstallation mit einer Finissage am Sonntag, 7. November, um 17 Uhr. Alle Termine stehen im aktuellen Gemeindebrief und im Internet unter ev-kirche-kettwig.de.

Titelbild: Kirchenkreis Essen/Alexandra Roth

 

 

 

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