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You’ll Never Walk Alone – Really?

Engagierte Diskussion in der Marktkirche als Audioaufnahme

VON ANDREAS MÜLLER

„You‘ll never walk alone – really? Einsamkeit als Herausforderung der Gesellschaft“ war das Thema einer gemeinsamen Tagung, zu der das Diakonische Werks des Kirchenkreises und der Evangelischen Akademie im Rheinland am Montagabend in die Marktkirche eingeladen hatten. Die Veranstaltung war Teil einer Reihe zum 100jährigen Bestehen der Diakonie in Essen. Wir dokumentieren die Tagung nachfolgend als Audio-Aufnahme:





Wie virulent das Thema ist, zeigen die Ergebnisse der ersten Enquetekommission, die von 2020 bis 2022 in Deutschland zu diesem Thema gearbeitet hat: „Einsamkeit. Bekämpfung sozialer Isolation in Nordrhein-Westfalen und der daraus resultieren-den physischen und psychischen Folgen auf die Gesundheit“. Die Folgen der Corona-Pandemie haben viele Entwicklungen unter dem oft beschworenen Brennglas sichtbar gemacht. Es waren Entwicklungen, die zuvor schon da waren, aber nicht wirklich in der Breite wahrgenommen wurden. So auch beim Problem der Einsamkeit in unserer Gesellschaft. In Corona-Hochzeiten war Einsamkeit in aller Munde – das ist schon wieder lange her. Doch es lohnt sich, noch einmal genauer hinzuschauen! Geholfen haben dabei drei Stimmen aus der diakonischen Praxis und zwei Fachvorträge.

STIMMEN AUS DER PRAXIS

Claudia Hartmann, Leitung des Senioren- und Generationenreferats des Diakoniewerks Essen, berichtete, wie Angebote in der Offenen Seniorenarbeit die Möglichkeit bereitstellen, mit anderen in Kontakt zu kommen, beispielsweise in den Zentren 60+. Elisabeth Hartmann, Leiterin der Ökumenischen Telefonseelsorge Essen, stellte fünf typische Anrufe in der Telefonseelsorge dar und wie die Mitarbeitenden am Telefon versuchen, die Einsamkeit am anderen Ende des Telefons oder auch per Mailkontakt mit auszuhalten.

Aus der Beratungsarbeit brachte Martin Verfürth, Mitarbeiter des FamilienRaum – Erziehungsberatungsstelle Borbeck der Jugend- und Familienhilfe gGmbH des Diakoniewerk Essen, die Perspektive von Erwachsenen ein, die in Umbrüchen des Lebens, Gefühle tiefer Einsamkeit erleben. Und er erinnerte an Kinder und Jugendliche, die in den Sozialen Medien nicht nur viele Kontakte pflegen, sondern sich auch dem dauernden Vergleich mit scheinbar so viel erfolgreicheren anderen aus ihrer Altersgruppe aussetzen.

EINSAMKEIT HAT VIELE GESICHTER

Die beiden Fachvorträge öffneten das Thema für den Horizont der Wissenschaft. In ihrem Vortrag „Einsamkeit als soziale Herausforderung“ zeigte Dr. Marie-Kristin Döbler vom Institut für Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen auf, wie viele Gesichter Einsamkeit hat. Sie thematisierte die Ursachen von Einsamkeit in der Art wie wir heute zusammenleben, wie wir uns begegnen, wie wir Technik nutzen oder wie wir arbeiten. Fehlende öffentliche Orte oder Begegnungsstätten tragen ebenso wie mangelhafte Infrastrukturen und nicht zugängliche Räume zur Erfahrung von Einsamkeit bei.

Als Maßnahmen gegen Einsamkeit brachte sie verschiedene Perspektiven ins Gespräch, die zum Teil jede und jeder selber ändern kann: Einbindungen und Teilhabe ermöglichen, soziale Hürden reduzieren, aktiven Ausschluss verhindern, Neu-Organisation des Zusammenlebens, öffentliche Räume umgestalten, Technik sinnvoll einsetzen, Übergänge begleiten, „Hallo“ sagen oder einfach mal nachfragen.

EINSAMKEIT KANN DAS LEBEN VERKÜRZEN

„Freiheitsgewinn oder Depression? Einsamkeit als psychologische Herausforderung“ war der Vortrag von Prof. Dr. Martin Schäfer, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Suchtmedizin der KEM | Evangelische Kliniken Essen-Mitte gGmbH, überschrieben. Er unterschied Einsamkeit als vorübergehendes Phänomen, das jede und jeder Mensch erlebt, und einfach zum Leben dazugehört, von Einsamkeit, die permanenten Stress, erzeugt und negative körperliche Folgen hat.

Einsamkeit ist somit keine psychische Störung, sie kann aber ein solche auslösen und verstärken. Chronische Einsamkeit ist mit ihren Folgen gar lebensverkürzend. Bei psychischen Erkrankungen muss die soziale Isolation beachtet werden, Ursachen von Einsamkeit können psychotherapeutisch angegangen werden. Vertrauensvolle und interaktive soziale Beziehungen tragen hingegen zur psychischen Stabilität bei. Diese zu pflegen ist eine Lebensaufgabe für jede und jeden.

HILFREICHE ANGEBOTE DER DIAKONIE

Zu den Wegen aus der Einsamkeit und bei psychischen Erkrankungen zählen auch viele diakonische Angebote. Zu denken ist an telefonische Seelsorge, Klinikambulanzen, Beratungsstellen, Psychiater, Psychiatrische Ambulanzen, Psychotherapie, Selbsthilfegruppen, Zentren 60plus, Tagesstätten, Sozialpsychiatrische Zentren, Ambulant betreutes Wohnen oder Wohngruppen.

Unter der Moderation von Dr. Frank Vogelsang, Direktor der Akademie, wurde nach einer kurzen Pause noch über eine Stunde lang intensiv diskutiert, bevor der anregende Abend mit einem Segen endete.

Unser Titelbild zeigt von links nach rechts: Dr. Frank Vogelsang, Pfarrer Andreas Müller, Claudia Hartmann, Dr. Marie-Kristin Döbler, Elisabeth Hartmann, Martin Verfürth, Prof. Dr. Martin Schäfer.

 

 

 

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